Die Fotografie ist zunächst ein mit Licht gezeichnetes Bild einer ausserhalb unseres Bewusstseins existierenden, vorgefundenen Welt. Eine experimentelle rechnergestützte Fotokunst ist eine vernetzte Kunstform mit ästhetischen Elementen physikalisch-mathematischer, logischer und technischer Herkunft.
Sie wird im künstlerischen Prozess mit differenten Deutungsebenen aufgeladen. Durch eine genaue Berechnung gelingt es zunächst mit hoher Präzision Formen und Farben, die Oberflächenbeschaffenheit, Licht- und Schattenrelationen, sowie die Perspektive und weitere Eigenschaften des Bildes exakt herauszuarbeiten.
Dabei entsprechen zunächst die statischen visuellen Eigenschaften der Darstellung, also seiner Pixeloberfläche, denen des hervorgerufenen Objektes. Seine Abbildung hat zunächst die gleiche geometrische Form, die gleichen Farbnuancen, das gleiche Licht- und Schattenspiel.
Wenn die Farben und die jeweilige Lichtintensität von Pixeln einer bestimmten Ordnung unterliegen, so hält unsere visuelle Wahrnehmung sie nicht mehr für einzelne, nebeneinanderliegende Lichtpunkte, sondern für das Zutagetreten einer zugrunde liegenden Ganzheit, einer wahrgenommenen Einheit.
Es ist nämlich unsere Wahrnehmung, die das Objekt entstehen lässt. Dieses Verfahren entwickelt virtuelle Bilder deshalb, da diese der Möglichkeit nach stets vorhanden sind, jedoch zuvor nicht wahrgenommen werden können. Bei meiner Fotokunst gibt es eine bewusste und offensive Einbeziehung der Technik in den schöpferischen Prozess, nicht als Hilfsmittel, sondern als generative Instanz. Die realistische Wirklichkeit weicht dem Kalkulierten, der Imagination, die dann realistische Wirklichkeit wird. Die Kamera verliert den Charakter eines objektiven Registriergerätes faktischer Wahrheiten. Sie wird Ausdrucksmittel vernetzter, Symbol bildender Systeme.
Die experimentelle, rechnergesteuerte Fotokunst meint kein objektives Moment, sondern die mit dem Kunstwerk verfolgte Intention.
© ursa schoepper, rheinbach bei bonn, 2010
Die Fähigkeit, Vorstellungen bildnerisch neu zu formulieren, ob nun fotografisch dem Abbild verbunden wie bei der künstlerischen Fotografie, oder frei gestaltend, setzt eine artikulierte Idee oder formulierten Inhalt voraus. Als fotografischer Künstler in einem Zeit-Raum-Verhältnis stehen heißt in der Welt sein, in einer subjektiv realen Welt sein. Das Bild, das entsteht, wird subjektiv aus dieser Geste gestaltet.
Damit hat der Fotograf die Möglichkeit eine künstlerisch, auch philosophische Geste Bild werden zu lassen. Sie zielt darauf, betrachtend gesehen werden zu können, um einer Idee folgen zu können, diese im Erschließen zu erkennen. Zur künstlerischen Geste kann in diesem Kontext selbstverständlich die Manipulation gehören. Wirklichkeit wird verfremdet. Kunst riskiert Mehrdeutigkeit und Rätsel. Die Architektur einer Figur, eines Objektes, wird bei einer experimentellen rechnergestützten Fotokunst nicht mehr unter Optimierung ihrer optischen Erscheinung betrachtet, ihre anatomische Deformation nicht mehr um der Idealität ihrer selbst manipuliert, sondern ihre Destruktion und Rekonstruktion im Bild verweist auf ihr Potential, auf ihre Anbindungsmöglichkeiten in systemischen Netzwerken.
Der Künstler ermöglicht, was der Betrachter verwirklicht. Es kann sowohl bei der künstlerischen Fotografie, als auch bei einer Fotokunst stets nur ein Teil der realen Welt eingefangen werden. Die experimentelle rechnergestützte Fotokunst repräsentiert die Suche nach dem Wesen eines fotografischen Bildes, nach dem Bild, das der Möglichkeit nach als virtuelle Realität vorhanden sein kann. Eine künstlerische Fotografie und eine rechnergestützte Fotokunst bieten die Möglichkeit die wahrgenommene Welt mit anderen Augen, einem anderen Blick sehen zu können, eine andere Sache im Ding sehen zu können.
Es handelt sich bei der Suche im Ergebnis immer auch um eine Art WeltAnschaung des Künstlers. Kann sie vom Betrachter erfasst werden, so handelt es sich wohl um eine nachvollziehbare künstlerische wahre Idee. Eine künstlerische Fotografie repräsentiert künstlerisch so viel realistische Wirklichkeit wie möglich, eine rechnergestützte Fotokunst so wenig realistische Wirklichkeit wie möglich.
Die eigentliche Botschaft des experimentellen, digitalen Fotokunstwerkes ist Autonomie. Sie ist eine Entsprechung zur Freiheit des künstlerischen Entwurfes und spiegelt sich in der ungewohnten, anderen Setzung, FreiSetzung und Behandlung des gewohnten fotografischen Materials wieder. Freiheit des Menschen durch die Kunst kann heißen, der Mensch ist frei gegen eingespielte Erfahrungstypisierung anderer Weisen der Welterfahrung.
Es ist der Versuch, für mehr Freiheit des Umgehens mit der im Laufe der Geschichte gewachsenen Tradition. Es ist dies der Mut zu einer Freiheit, die Alternativen offen hält und Mut zur Erneuerung macht, die gleichzeitig archaisch - traditionelle Sichtweisen nicht negiert. Es ist dies die Kunst des Sowohl als Auch, nicht die des Entweder Oder, und es ist das, was Adorno meint, wenn er sagt, " ... wenn das, was ist, sich ändern lässt, ist das, was ist, nicht alles."
© ursa schoepper, rheinbach bei bonn, 2010
Kann man den Betrachter fotografischer Bilder noch überzeugen, dass wahrgenommene Gegenstände oder Wesen in dem Moment so existiert haben, als die Fotografie gemacht wurde? Sicher ist, dass diese im späteren Hier und Jetzt so nicht mehr existieren müssen. Die fotografischen Ergebnisse können jedoch visualisierte Erinnerungen sein, Erinnerungen an Ereignisse und Objekte, auch an Vorstellungen von Objekten. Diese Illusion von Realität leistet sowohl die archaische Fotografie, als auch die experimentelle, rechnergesteuerte Fotografie. Zu reflektieren wäre, ob die rechnergesteuerte Fotografie eine technisch größere Bandbreite bezüglich ihrer Abbildlichkeit zulässt.
Experimentelle Fotokunst ist als Entwurf eines eigenen künstlerischen Ordnungsgefüges Erkenntnis. Worauf es ankommt, ist der geistige Prozess, der sich im Gehirn des Künstlers und des Betrachters abspielt. Es geht dabei um Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensprozesse. Ein kommunikatives Angebot bedeutet hier mehr als Signal- und Informationsfluss, es bedeutet Zeichengebung. Gestalt oder Form des Werkes plus Gehalt bestimmen die Identität eines Fotokunstwerkes.
Die geistige künstlerische Tätigkeit als konzertierte Aktion hat kein Resultat, sondern ist Resultat. Die experimentelle rechnergestützte Fotokunst berücksichtigt damit keine außerkünstlerische Wirklichkeit, sondern besitzt ihren eigenen Wirklichkeitsbereich. Es geht nicht um eine Auflösung des Sichtbaren wie im Kubismus, sondern eine Neuformation von plastischen Bildelementen, eine Neukonfiguration bedeutet Bildstörung, im besten Sinne Blickstörung, eine Verschiebung, ein Verrücken, ein Entlarven und FreiSetzen bisheriger Seh- und Sichtweisen, gleichzeitig eine bisher nicht gesehene Möglichkeit. Wahrhafter Künstler, Fotokünstler, ist daher nicht, wer Vorhandenheiten reproduziert, sondern derjenige, welcher zum Mitgehen, zum Mitsehen, zum Erkennen außerbildlicher Dinge, einer Sinnstruktur veranlasst.
In der Kunst, also auch der rechnergestützten Fotokunst handelt es sich nicht um den Vorschein einer Idee im Sinnlichen, sondern um ein sinnlich Tatsächliches, das so erscheint, als sei es Idee. Produktives Sehen, also das verstehende Auge des Betrachters, entsteht im Idealfall im Akt der anschauenden Tätigkeit. Der Begriff Goethes dafür war die exakte sinnliche Phantasie.
© ursa schoepper, rheinbach bei bonn 2010
Ursa Schöpper, Fotokünstlerin der experimentellen digitalen, abstrakten Fotografie, untersucht die inneren Gestaltungsprinzipien digitaler Fotografie und die Differenz zur analogen Fotografie. Fotografie, zunächst ein mit Licht gezeichnetes Bild, digital gespeichert und rechnergesteuert, basiert auf der Grundlage mathematisch-physikalischer Strukturen. Das bedeutet eine erweiterte, virtuelle Möglichkeit, da der Künstler das fotografische Bild auch über die mathematische Grammatik neu generieren kann.
Anamorphosen der Architekturen zeigen im idealen Sinn bewusst verzerrte Ansichten fotografisch aufgenommener Architekturen, hier bekannter Museumsbauten der Bundesrepublik Deutschland. In ihrer direkten und spontanen Wirkung ist Architektur eine Kombination von Massen, Räumen und Linien. Den wahren Sinn einer modernen Architektur suchten ihre Erbauer häufig in einer neuen räumlichen Konzeption, die dem Geist der modernen Zeit Ausdruck geben würde. Dieses entsprach beispielsweise auch den Überlegungen des Kubismus.
Das Museum, betrachtet als Kunstbehälter, als architektonisches Kunstgebilde, erfüllt auf Grund seines Vorhandenseins verschiedene Funktionen. Es ist im gelungenen Fall künstlerischer Gegenstand seiner Zeit, sowohl als Gebilde als auch als Behältnis des kulturellen Gedächtnis. Es kann darüber hinaus Gegenstand künstlerischer Reflektionen mit eigenständigen Bildaussagen werden.
Eine neuartige innovative Technik wie die der digitalen Bildaufnahme und Bildtransformation ermöglicht als bewusste offensive Maßnahme den schöpferischen Prozess. Sie ist damit nicht hauptsächlich Hilfsmittel, sondern generative Instanz. Das künstlerische Ergebnis zeigt eine visuelle Sprache, bei der sich Abstraktion mit Fragmenten der beobachteten Welt, der beobachteten Realität, verbindet. Architektur, hier das Museum als Kunstgebilde, wird selbst Gegenstand einer künstlerischen Auseinandersetzung. Die fotografischen Bildnisse sind nicht Abbild, nicht Kunsthaut einer gelungenen Architektur, sondern sind autonome Bilder eines künstlerischen Dialoges mit der vorgefundenen architektonischen Realität...
...Diese Fotokunstwerke zeigen den Schritt von einer fotografischen, realistischen Wirklichkeit zu einer fotografischen, virtuellen Realität...
ursa schöpper