Next Event: ART INTERNATIONAL ZURICH 2025 | 27th Contemporary Art Fair | 23-25 may 2025 Next Event:
ART INTERNATIONAL ZURICH 2025
27th Contemporary Art Fair
23-25 May 2025

ART INTERNATIONAL ZURICH 2010


Susanne Kraißer


Bronzeplastiken, Aluminiumplastiken und figürliche Bildhauerei

Bildhauerei ist für mich vor allem Form und Material, Volumen und Größe, Raum und Statik.
Ich arbeite an zwei Themenschwerpunkten - dem Frauenkörper und dem Tierkörper. Gemeinsam ist beiden die Darstellung als Solitäre, entweder in einer intimen Miniatur oder in einer monumentalen Größe.

Ich arbeite mit den Materialien Bronze, Beton und Holz, also sowohl in der plastischen wie auch der subtrahierenden Arbeitsweise. In der subtrahierenden, also der wegnehmenden Technik entstehen große Arbeiten aus Holz. In der plastisch-aufbauenden Technik entstehen kleine, intime Miniaturen aus Wachs, die in Bronze gegossen werden und größere Arbeiten in Beton oder Aluminium. Mein Interesse an dieser Abgusstechnik besteht darin, weiche, vergängliche Wachsoberflächen im harten Material zu konservieren und dadurch letztlich den Betrachter zu irritieren. Die verschiedenen Arbeitsprozesse und Werkzeuge bestimmen Oberfläche und Größe, bei Wachs sind es meine Hände, bei Holzstämmen ist es meine Kettensäge.

Jedes Material stellt für mich eine andere Herausforderung dar. In meiner vorhergegangenen Ausbildung zur Holzbildhauerin ging es darum, die Grenzen des Materials zu respektieren, um so Kunsthandwerk von solider Qualität materialgerecht herzustellen. Nun jedoch wird die Auseinandersetzung wie auch die Grenze sichtbar. Ich kämpfe mit dem Material, vieles geht dabei kaputt. Es wird mein Gegenüber, dessen Grenzen ich austeste und gegebenenfalls anders setze. Verhaltene Bewegungen, die große Körperspannung erfordern, werden festgehalten, ohne dass ihre Dynamik verloren geht.

Zwischen der tendenziell harmonischen äußeren Form herrscht eine harte Dissonanz mit der groben, fragmentarischen Gestaltung der Oberfläche. Arbeitsspuren und Hiebe bleiben wie Narben einer Wunde zurück und verhindern, dass der Betrachter der Figur zu nahe kommt. Nur mit Abstand ist die Figur als solche zu erkennen, verringert sich dieser, löst sich die Figur auf und es bleibt reine Struktur zurück.
Diese Unbeständigkeit verstärkt den Ausdruck von Fragilität und Verletzlichkeit, der den Figuren innewohnt. Die Vorläufigkeit der Oberfläche sucht in ihrer Widersprüchlichkeit Autonomie und Perfektion.
Inhaltlicher Schwerpunkt meiner Arbeit ist das Aufzeigen und das Vereinen von Polaritäten wie Labilität und Stärke, Fragilität und Masse, Aktivität und Passivität, Bewegung und Statik, Balance und Volumen sowie Abhängigkeit und Autarkie.

Susanne Kraißer


Sculpture and touch

Auf der Konferenz "culpture and touch" im altehrwürdigen Londoner Courtauld Institute (Mai 2008) wurde untersucht, warum Menschen wann und wieso Plastiken berühren.
Archäologie und Kunstgeschichte sind voll von Geschichten über Menschen, die sich über das Visuelle der bildenden Kunst hinwegsetzen, und körperlichen Kontakt mit Objekten suchen. Das Berühren ist aus der religiösen Devotion bekannt, aber der Impuls dazu - so eines der Ergebnisse der Konferenz - dürfte auf einer viel tieferen anthropologischen Ebene liegen. Und die Neigung, alles umgekehrt auf Distanz zu halten, mag ein Spezifikum postmoderner Kultur sein.
Der Gegensatz zwischen virtueller Simulation und tatsächlicher Berührung ist so extrem groß, dass es einen fast wundert, dass hundert Wissenschaftler darüber zwei Tage lang debattieren können. Aber der Subtext des Programms war es, die Grenzen und Möglichkeiten einer zukünftigen Kunstwissenschaft auszuloten, die menschliche Erfahrung nicht auf Geist und Augen reduziert. Es sprachen weltberühmte Wissenschaftler, aber eine der echten "tars" auf dieser Konferenz war eine kleine Bronze von Susanne Kraisser (Abb. Tanz am Abgrund). Sie wurde herumgereicht und wurde zum Anfangs- und Mittelpunkt einer ganzen Reihe von Überlegungen zwischen Archäologie und zeitgenössischer Kunst.
Kraissers neueste Figuren stehen fest in der modernen figürlichen Tradition, aber ihren eigenen Ort darin bekommen sie durch zwei Entscheidungen der Künstlerin. Erstens sind die Figuren nicht nach einem Modell entstanden, sondern freie Variationen auf der Basis von Beherrschung und Studium, wodurch Aufbau und Struktur betont werden und zweitens sind sie betont klein. Vor allem dieser zweite Aspekt ist wichtig, da er eine für den Betrachter besondere, intime Situation kreiert. Aus der Nähe sieht man den Aufbau, aus der Distanz "Mädchen". Es geht also um die intime Erfahrung von etwas höchst Kontrolliertem und genau dort setzte in London das Nachdenken ein.
Wer die Figur aus einer Distanz sieht, sagt sofort "figürlich" und ordnet sie damit in eine intellektuellen Schublade ein. Der erfahrene menschliche Blick ist unerbittlich. Das Urteil aus der Distanz ist daneben sehr stark von kulturellen Vorurteilen bestimmt (man weiß, was man gut finden oder ablehnen sollte). Sobald die Skulptur aber überreicht wird, bricht sie wortwörtlich durch diesen Panzer der Kultur hindurch. Und da werden andere Formen der Erfahrung wichtig und vor allem auch eine andere Form der Aufmerksamkeit, da der Tastsinn viel stärker zielorientiert ist als das springende Auge.
Das Format bedeutet, dass sie als reelle Plastik immer aus der Nähe betrachtet wird, und dort spielen haptischer und optischer Sinn sehr direkt zusammen. Das Auge kann eine Form abtasten, wenn es die gleiche Konzentration wie die Finger aufbringt. Kraissers stehende Figur ist aber alles andere als ein Handschmeichler (aus Sicherheitsgründen durfte sie auf dem Flug nach und aus London nicht ins Handgepäck). Sie kann betrachtet und wortwörtlich oder im übertragenden Sinne betastet werden und bietet dadurch mehrsinnige Erfahrungsmöglichkeiten. Diese Kunst verweist auf den Tastsinn: Auch wenn sie nicht berührt werden kann.
Sowohl ein auf mehrere Sinne anspielendes künstlerisches Angebot als ein multimedialer Overkill spielen auf den Menschen als multisensorisches Wesen an, aber die Bildhauerei ist subtiler. Ein Angebot kann man ablehnen, vor dem Overkill kann man höchstens fliehen.

Text: Dr. Arie Hartog, Gerhard-Marcks-Haus, Bremen



Quellenangabe: Susanne Kraisser, Bad Belzig 2010


Rückblick der Art Zurich 2010


Art Fair Zurich 1999-2010

Share:
$('.collapse').collapse()